Ich glaube ja, doch zunächst ein kleiner geschichtlicher Rückblick. Man nehme zwanzig Jahre, eine knappe Generationsspanne, in der Geschichte der Menschheit nur so viel wie ein Wimpernschlag. Versieht man aber diese zwei Jahrzehnte mit Eckdaten, wie z. B. den Jahren 1919 und 1939, dann zeichnet sich ein folgenschweres Kapitel deutscher Geschichte ab.
Zu Beginn des Jahres 1919, der Erste Weltkrieg war gerade beendet, wurde die Frage immer dringlicher, was mit den deutschen Soldaten, die vor allem in Belgien und Nordfrankreich gefallen waren, geschehen sollte. Die damalige deutsche Reichsregierung sah sich nicht in der Lage, hier die Initiative zu ergreifen. Die innenpolitische Lage war angespannt. Die Regierung musste nach Weimar ausweichen. Dort verabschiedete die damalige Nationalversammlung im August 1919 die Verfassung der ersten Republik auf deutschen Boden, die fortan den Namen ihres Gründungsortes trug. Nicht alle gesellschaftlichen Kräfte in der noch jungen Republik waren aber gewillt, tatenlos hinzunehmen, dass die Gefallenen fern der Heimat so liegen bleiben sollten wie achtlos zurückgelassenes Kriegsgerät. Sie riefen deshalb im Dezember 1919 den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge ins Leben, der sich um Soldatenfriedhöfe kümmern sollte.
Im Aufruf zu seiner Gründung hieß es:
Vergesst die Toten nicht! Sorgt alle mit, dass die Ehrenstätten der Gefallenen würdig erhalten bleiben! Helft alle mit, dass Angehörige von der Ungewissheit über den Zustand der fernen Kriegsgräber erlöst werden.
Zu den Männern der ersten Stunde gehörten namhafte Persönlichkeiten wie z. B. der damalige Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer, der Dichter Gerhart Hauptmann sowie der Industrielle und Politiker Walther Rathenau. Die Aufgaben, die vor dem Volksbund lagen, erschienen riesengroß, sprengten alle Vorstellungen. Denn allein in Nordfrankreich gab es mehr als 3.600 Soldatenfriedhöfe verschiedenster Größe. Bis zum Jahr 1932 war es möglich, dank der Duldung durch die französischen Behörden, auf 200 Sammelfriedhöfen viele Kriegstote würdig zu beerdigen.
Mit der Machtübernahme im Jahr 1933 schloss sich die Führung des Volksbundes der Gleichschaltungspolitik der NS-Regierung an. An die Stelle des ins Leben gerufenen Volkstrauertages trat nun der von der NS-Ideologie geprägte Heldengedenktag. Und erneut wurden jene kriegerischen Worte propagiert, mit denen man schon im Ersten Weltkrieg die jungen Männer (tlw. Kinder!) auf die Schlachtfelder geführt hatte. Wieder galt es als ehrenvoll, für das Vaterland zu sterben. Die mahnenden Worte, wonach es schlimm um ein Volk stünde, das Helden benötige, wurden einfach überhört. Und so kam es, dass gut 20 Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkrieges der Zweite begann.
Am 1. September 1939 brach die Furie des Krieges erneut über Europa herein. Am Ende waren weite Teile Europas verwüstet und über 55 Millionen Tote zu beklagen.
Erneut war es die im Jahre 1946 wiedergegründete Kriegsgräberfürsorge, die sich der Opfer annahm. Das Verhältnis der Überlebenden zu den Toten des Krieges hat der damalige Bundespräsident Prof. Theodor Heuss bereits im Jahre 1952 mit den Worten umrissen: Die in den Gräbern ruhen, warten auf uns, auf uns alle. Sie wollen gar nicht, dass wir mit lauten Worten sie Helden nennen. Sie haben für uns gekämpft, gelitten, sie sind für uns gestorben. Sie waren Menschen wie wir. Aber wenn wir in der Stille an den Kreuzen stehen, vernehmen wir ihre gefasst gewordenen Stimmen: „Sorgt ihr, die ihr noch im Leben steht, dass Frieden bleibe, Frieden zwischen den Menschen, Frieden zwischen den Völkern.“
Wenn wir heute einen Blick auf die Karte des geeinten Europas werfen, dann müssen wir feststellen, dass es fast überall auf unserem Kontinent Kriegsgräberstätten gibt, unübersehbare Mahnmale für den Frieden. Ihre Liste reicht von Nordnorwegen bis nach Sizilien, von den Küsten der Normandie bis hin in die unendlichen Weiten der ehemaligen Sowjetunion. Aber auch in den Wüsten Nordafrikas und auf dem Grund der Weltmeere ruhen die Gebeine deutscher Soldaten. Selbst in unserer Nähe, z. B. in Breuna, befindet sich eine Kriegsgräberstätte mit überwiegend 14- 17-jährigen Gefallenen (Kindern!).
Die Reservistenkameradschaft Reinhardshagen hat nach dem Motto des Volksbundes „Versöhnung über den Gräbern — Arbeit für den Frieden“ bisher auf drei Kriegsgräberstätten praktische Friedensarbeit geleistet. 2002 in Stalingrad, dem heutigen Wolgograd (Russische Föderation), 2005 in Iasi (Rumänien) und letztes Jahr in Vazec (Slowakei) haben wir Gräber gepflegt, die Anlagen saniert und durch Kontakte mit der Administration, mit den Militärs und mit allen gesellschaftlichen Gruppierungen Versöhnung praktiziert.
Wenn am Volkstrauertag an die Gefallenen gedacht wird, dann schließen wir auch jene Toten mit ein, die in der Gefangenschaft, in den Zuchthäusern und Vernichtungslagern des nationalsozialistischen Regimes, auf der Flucht, während der Vertreibung aus der alten Heimat und an der sogenannten Heimatfront ihr Leben hingeben mussten. Wir trauern auch um die Opfer der Kriege und Bürgerkriege unserer Tage, um die Opfer von Terrorismus und politischer Verfolgung, um die Bundeswehrsoldaten und anderen Einsatzkräfte, die im Auslandseinsatz ihr Leben verloren.
Das wir gedenken, ist gut so. Veranstaltungen wie der Volkstrauertag oder Mahnmale auf Friedhöfen verfolgen keinen Selbstzweck. Der Blick zurück ist Mahnung für die Gegenwart und Aufgabe für die Zukunft. Nehmen Sie Ihre Kinder, Enkelkinder mit zu den Gedenkveranstaltungen. Gehen Sie am Volkstrauertag (Sonntag, 15. November) zum Ehrenmal im OT Vaake (13.00 Uhr) oder auf den Friedhof im OT Veckerhagen (14.00 Uhr) und lassen Sie es nicht vergessen. Nutzen Sie diesen Tag um über Krieg und Gewalt nachzudenken, über uns und unsere Mitmenschen in Europa und der Welt und freuen Sie sich darüber, dass wir in einem Land ohne Krieg leben.
Dieter Musmann
1. Vorsitzender